Fotowettbewerb "Dekoloniale Perspektiven"

Ein spannender Prozess und drei tolle Gewinnerbilder

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In der Entwicklungszusammenarbeit ist es erforderlich, sich mit den kolonialen Kontinuitäten auseinanderzusetzen – auch im Entwicklungsdienst.
Mit dem Fotowettbewerb „Dekoloniale Perspektiven“ für (ehemalige) Fachkräfte, mit-ausreisende Partner*innen und Mitarbeitende in Partnerorganisationen haben wir 2025 eine Maßnahme entwickelt, um dieses Thema produktiv anzugehen. Unterstützung bei der Konzeption des Wettbewerbs war schnell gefunden: Stefan Heiß, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei EIRENE beschäftigt sich schon lange mit rassismussensibler Bildsprache. In mehreren Webinaren vermittelte er begleitend zum Wettbewerb wichtige Impulse zur kritischen Bildbetrachtung und -produktion. Das Interesse war groß.

Unsere Jury (v.l.n.r.): der in Berlin und Südafrika lebende Fotograf, Filmemacher und Performancekünstler thabo thindi, die bolivianische Dokumentarfotografin Wara Vargas Lara und der Kölner Fotograf und Gallerist Wolfgang Zurborn

In einem weiteren Schritt haben wir eine internationale Jury zusammengestellt und mit diesen Expert*innen das Verfahren und die Auswahlkriterien intensiv diskutiert.

Mehr zur Jury

Zur Ausschreibung

Im Auswahlprozess der Bilder zeigte sich: Persönliche, interkulturelle, professionelle und machtkritische Blickwinkel unterscheiden sich stark, eine Auseinandersetzung darüber ist sehr bereichernd, aber auch herausfordernd.
Das wichtige Ziel des Wettbewerbs, Reflexionsprozesse über Bildsprache anzustoßen und darüber in den Austausch zu gehen, ist gelungen – so auch das Fazit der Jury. Die Anzahl der eingereichten Bilder blieb indes hinter den Erwartungen zurück. 

Dies lag, so die Vermutung, an der anspruchsvollen Ausschreibung: Bilder zu „dekolonialen Perspektiven“ zu schaffen, ist sehr ambitioniert. Weitere Anforderungen, wie etwa die Klärung der Bildrechte der abgebildeten Personen, waren sehr aufwendig. Wir haben aus dem Prozess einiges dazu gelernt, das wir für unsere weitere Arbeit nutzen. 

Trotzdem haben wir sehr gute Beiträge bekommen, aus denen die Jury drei Gewinnerbilder ausgewählt hat.
 

Die Gewinnerbilder

Kabita Gurung, Nepal 2024

Platz 1: „Two Muslim women against gender-based violence in Nepal‘s lowlands“

Kabita Gurung ist Projektmanagerin in einem ZFD-Projekt von United Mission to Nepal (UMN), einer Partnerorganisation von Brot für die Welt.

Das Foto entstand im Projekt „Ending Domestic Violence through Community Dialogue and Mediation“. Es zeigt zwei muslimische Frauen aus einer Selbsthilfegruppe gegen häusliche Gewalt. Rechts im Bild: Ruksar Begam, die Leiterin der Gruppe. Während einer Sitzung hilft sie Hairun Nesha, einer Betroffenen von häuslicher Gewalt, beim Unterschreiben eines Dokuments.

Die Fotografin beschreibt Nepal als eine bis heute patriarchalisch geprägte Gesellschaft, deren Strukturen auf die Ankunft der sogenannten „Arier“ (in Südasien wird dieser Begriff anstelle von „Indo-Europäer“ häufig verwendet) und das von ihnen eingeführte Kastensystem zurückgehen. Die britische Kolonialherrschaft habe diese Diskriminierung weiter verfestigt. Ruksar Begam musste sich in ihrem Leben zahlreichen Herausforderungen stellen – etwa dem erschwerten Zugang zu Bildung und dem Widerstand ihres Ehemannes gegen ihr Engagement. Aufgrund ihrer aktiven Mitarbeit in der Gruppe konnte sie an Schulungen in psychosozialer Beratung teilnehmen und wurde von den Mitgliedern zur „Friedensbotschafterin“ gewählt. Ihr Wissen bringt sie nun in der Selbsthilfegruppe ein.

Die Jury hob die sichtbare Verbundenheit zwischen den beiden Frauen hervor. Das Bild eröffne einen Perspektivwechsel, indem es zeige, dass Unterstützung unter indigenen Frauen aus ihrer eigenen Lebensrealität erwächst und keiner Hilfe von außen bedarf. Die ruhige Atmosphäre vermittle zudem, dass die Fotografin den Moment mit Achtsamkeit und Respekt eingefangen habe.

Svenja Jandrasits, Bolivien 2024

Platz 2: „Gemeinsam andere Realitäten kennenlernen, um Veränderung zu bewirken“

Svenja Jandrasits arbeitet als Fachkraft im Programm Ziviler Friedensdienst für das „Centro Juana Azurduy“, eine Partnerorganisation des Weltfriedensdienstes im Süden Boliviens.

Das Projekt „Frauen und Jugendliche als ProtagonistInnen einer Friedenskultur im Süden von Bolivien, durch Forschung, Dialog und Kommunikation“ untersucht die wirtschaftliche Abhängigkeit von Frauen in Chuquisaca mit der partizipativen Forschungsmethode Photovoice. Dabei machen Frauen ihre Erfahrungen und Perspektiven mithilfe von Fotografie sichtbar. Die entstandenen Bilder zeigen ihren Kampf um wirtschaftliche Unabhängigkeit und wurden in Dialogveranstaltungen mit Vertreter*innen sozialer Organisationen und der Politik präsentiert. Dieses Foto entstand bei einer dieser Ausstellungen. Es zeigt Mitglieder der Frauenorganisation „Centralía Provincial de Mujeres Bartolina Sisa“, die das Porträt einer Frau betrachten. 

Die Fotografin beschreibt die Szene als Ausdruck von Solidarität und gegenseitigem Zuhören: „Ich bin hier, ich habe ein offenes Ohr, ich interessiere mich für die Schicksale anderer Frauen.“ Dekoloniale Perspektiven zeige das Bild, so die Fotografin, weil die Frauen auf den ausgestellten Bildern selbst ihre Realitäten sichtbar machen und auf Veränderung drängen – nicht externe „Expert*innen“.

Die Jury lobte die präzise Komposition des Bildes. Durch seine unkonventionelle Perspektive bringe es die Forderung „Gemeinsam andere Realitäten kennenlernen, um Veränderungen zu bewirken“, überzeugend zum Ausdruck. Die Qualität des Fotos liege darin, dass es durch präzise Beobachtung einer alltäglichen Szene Gedanken über unser Zusammenleben provoziert, die weit über das rein Faktische hinausgehen.“

Katja Dombrowski, Bolivien 2024

Platz 3: „Bildhoheit“

Katja Dombrowski war Fachkraft für den Weltfriedensdienst im Projekt „Konflikttransformation und Stärkung der Friedenskultur im Süden Boliviens“.

Auf dem Foto ist die 15-jährige María José zu sehen – Schülerin und Teilnehmerin eines Photovoice-Projekts der WFD-Partnerorganisation Fundación Acción Cultural Loyola. Ziel des Projektes ist es, dass die Teilnehmenden ihre Lebensrealität
mithilfe von Texten und Fotografien darstellen. 

Die Fotografin schreibt dazu: „Bei diesem Selbstporträt liegt die Bildhoheit ganz bei María José. Sie inszeniert sich selbst und zeigt sich so, wie sie gesehen werden möchte. Ich habe diesen Moment mit der Kamera eingefangen, ohne ihre Pose oder ihren Blick zu beeinflussen.“

Auch die Jury war von dem Bild beeindruckt: „Bei diesem Foto mussten wir genauer hinschauen und über die Oberfläche hinausblicken. Auf den ersten Blick könnte man es als ein weiteres Selfie abtun – doch dahinter verbirgt sich viel mehr: Themen unserer modernen Gesellschaft wie Einsamkeit, Zugehörigkeit, die Suche nach Akzeptanz, Liebe und Vertrauen. Das Mädchen richtet
die Kamera bewusst auf sich selbst – eine mutige und kraftvolle Geste, mit der sie ihre Sichtbarkeit und ihren Platz in der Gesellschaft (zurück)erobert. Die Fotografin bleibt dabei unaufdringlich im Hintergrund und lässt María José den Raum, sich frei zu zeigen. Das Ergebnis ist ein stilles, aber tief berührendes Bild, das zum Nachdenken anregt, ohne sich aufzudrängen.“

Die Bilder wurden im Rahmen des von AGdD und AKLHÜ initiierten Politikdialog zum Thema „Mit Entwicklungszusammenarbeit Zukunft gestalten“ im November 2025 in Siegburg vorgestellt und prämiert. 

Mehr zur Preisverleihung

Wir gratulieren unseren drei Gewinnerinnen und bedanken uns bei allen, die am Wettbewerb teilgenommen haben!


Die Jury

Wara Vargas Lara

Wara Vargas Lara ist eine bolivianische Dokumentarfotografin. Ihre Arbeit zielt darauf ab, die kulturelle Identität der indigenen Völker ihres Landes zu stärken und das uralte Wissen der bolivianischen Frauen hervorzuheben.

Seit 2006 ist Wara Vargas' Arbeit über Bolivien hinaus auch in Ländern wie Deutschland, den Vereinigten Staaten, Kolumbien, Brasilien, Uruguay, Mexiko, Italien und Spanien anerkannt und ausgestellt.
2019 erhielt Wara ein Stipendium von National Geographic, um die Geschichte der traditionellen Hebammen der Kallawaya, einer Kultur in Bolivien, zu erzählen, und ist seitdem Teil der community of Latin explorers.

Darüber hinaus gehört sie zu den Fotograf*innen von Fairpicture, einer Agentur, die sich für ethisches Storytelling einsetzt.

Zur Website von Wara Vargas

Wolfgang Zurborn

Wolfgang Zurborn entführt uns mit seinen Fotografien in eine ganz eigenwillige, skurrile Welt, in der Szenen und Objekte des alltäglichen Lebens scheinbar aus dem Lot geraten sind. Es ist die Neugier auf Erfahrung, die Suche nach Kommunikation, die ihn antreibt, mit radikalen Ausschnitten, überraschenden Kompositionen und ungewöhnlichen Perspektiven Bilder zu finden, die uns aus dem routinierten Konsum der aufgeräumten Medienwelten herausreißen. (aus der Publikation Catch, erschienen im Verlag Kettler, 2015)

Zurborn studierte an der Bayerischen Staatslehranstalt für Photographie in München und an der FH Dortmund. 1985 wurde ihm der Otto-Steinert-Preis der DGPh verliehen. 2008 erhielt er den Deutschen Fotobuchpreis. Einzelausstellungen von ihm wurden weltweit gezeigt. Das Haus der Photographie, Deichtorhallen Hamburg, präsentierte 2009 einen Überblick über sein Werk. Seit 39 Jahren betreibt er zusammen mit Tina Schelhorn die Galerie Lichtblick in Köln und 2010 gründete er die Lichtblick School. Weltweit leitet er Workshops und Fotoseminare. Seit 1998 ist er im Präsidium der Deutschen Fotografischen Akademie.

Zur Website von Wolfgang Zurborn
 

thabo thindi

thabo thindi ist ein in Südafrika geborener Fotograf, Filmemacher, Schauspieler und Performancekünstler. Mithilfe seiner Kunst setzt er sich mit antischwarzem Rassismus und anderen Formen der Diskriminierung auseinander und tritt damit für die Auflösung der vorherrschenden weißen Machtstrukturen ein. Im Rahmen des 48 Hour Film Projects Berlin wurde thindi 2012 mit dem Preis für die Beste Kamera ausgezeichnet. 2013 wirkte er an der Ausstellung BLACK MIRRORS – MEMORY.BODY.IDENTITY im Rahmen von Black Lux – ein Heimatfest aus Schwarzen Perspektiven in Berlin – mit. Als Regisseur und Produzent war er bei der Videoausstellung Exile Faces des Hauses Kulturen der Welt beteiligt. thabo thindi lebt in Berlin und Südafrika.