Interview mit Barbara Mittelhammer

Feministische Entwicklungs- und Außenpolitik

Barbara Mittelhammer

Im März 2023 hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eine neue Strategie zu einer feministischen Entwicklungspolitik vorgestellt. Die Strategie ist eng mit den Leitlinien für eine feministische Außenpolitik des Auswärtigen Amts (AA) abgestimmt.

Barbara Mittelhammer ist unabhängige Politologin und Beraterin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind feministische Außenpolitik, menschliche Sicherheit und die Rolle der Zivilgesellschaft in der Gestaltung der EU-Außenpolitik. Auch für die AGdD war sie als Referentin für feministische Entwicklungspolitik tätig.

Frau Mittelhammer, was versteht man unter „feministischer Entwicklungs- und Außenpolitik“?

Die Idee einer feministischen Politik ist nicht neu. Sie geht zurück auf die Zeit zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Damals gab es starke zivilgesellschaftliche Bestrebungen, in Europa wieder zu einem nachhaltigen Frieden zu finden. In diesem Kontext fand 1915 in Den Haag ein internationaler Frauenfriedenskongress statt. Dort wurden neben der Forderung, den Krieg zu beenden, auch bereits die nach einer Demokratisierung der Außenpolitik und einer gleichberechtigten Beteiligung von Frauen in der Gesellschaft erhoben.

Heute lässt sich eine Feministische Politik so umschreiben, dass sie sich an den Bedürfnissen aller Menschen orientiert und dabei die Aspekte menschliche Sicherheit und Menschenrechte in den Fokus stellt. Dazu muss Politik zunächst anerkennen, dass nicht alle Menschen den gleichen Zugang zu Macht, zu Lebensmöglichkeiten und zu Ressourcen haben und dass dies Auswirkungen auf Frieden, Sicherheit und Entwicklung für alle hat. Ziel einer feministischen Politik ist es, das zu ändern.

Dabei heißt diese Politik feministisch, weil es um gleichberechtigte Teilhabe geht. Und derzeit ist die strukturelle Diskriminierung von Frauen die stärkste, die wir weltweit beobachten können. Im eigentlichen Sinne geht es aber natürlich nicht nur um die Teilhabe von Frauen, sondern um die aller marginalisierten Gruppen.

Maßgeblich für Regierungshandeln wurde der feministische Politikansatz erstmals 2014 in Schweden. Damals entstand dort das Konzept einer feministischen Außenpolitik, das heute sozusagen als „Goldstandard“ gilt. Es gibt zahlreiche andere Länder, zum Beispiel Frankreich oder Kanada, die sich dieses Konzept in unterschiedlicher Ausprägung zu eigen gemacht haben und es auch weiterentwickeln.

Mit dem Koalitionsvertrag von 2021 ist die feministische Politik auch in Deutschland angekommen, und zwar in der Außen- und Entwicklungspolitik, also im Auswärtigen Amt (AA) und im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

Welche Ziele verfolgen die aktuellen Strategien des BMZ und die Leitlinie des AA?

Beide Institutionen gehen von dem sogenannten 3R-Ansatz aus, der auf das schwedische Konzept zurückgeht. 3 R steht für Rechte, Repräsentation und Ressourcen. Das heißt: außen- und entwicklungspolitisches Handeln soll sich daran orientieren, wie es sich auswirkt auf die Rechte von Frauen – beziehungsweise aller – auf eine gerechte Repräsentation aller marginalisierten Gruppen und auf den gerechten Zugang zu Ressourcen, also Finanzen, Bildung, Information, Infrastruktur, Land etc.

Wie wichtig der 3-R- Fokus auch heute noch ist, lässt sich leicht mit ein paar markanten Zahlen verdeutlichen. Wenn wir das erste R – für Rechte – betrachten: Zahlen, die die Weltbank zuletzt veröffentlicht hat, zeigen, dass es derzeit weltweit nur 14 Länder gibt, in denen Männer und Frauen wirklich juristisch gleichgestellt sind.

Werfen wir einen Blick auf das zweite R – für Repräsentation: In lediglich 16 Staaten stehen heute Frauen an der Spitze der jeweiligen Regierung.

Und schließlich noch zwei Zahlen zum dritten R – den Ressourcen: Weltweit sind 43 Prozent der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft weiblich. Unter denjenigen, die Land besitzen, sind aber weniger als 15 Prozent Frauen. Wir sehen hier also überdeutliche Missverhältnisse.

Wie bildet sich der 3-R-Ansatz in den politischen Strategien der beiden Ministerien ab?

Um Diskriminierung und Ungleichheiten bezogen auf die drei R zu bekämpfen, hat das Auswärtige Amt zehn Leitlinien für seine Arbeit definiert, die alle Facetten der deutschen Außenpolitik abdecken. Das fängt an bei Frieden und Sicherheit, über humanitäre Hilfe und Krisenmanagement, Menschenrechtspolitik, Klima- und Energie-Außenpolitik, Wirtschaftspolitik bis zur Kultur- und Gesellschaftspolitik. Und einige der Leitlinien richten sich auch nach innen und hinterfragen die Strukturen im Auswärtigen Amt und die Prozesse, die die Außenpolitik bestimmen.

Das BMZ hat den 3-R-Ansatz etwas anders umgesetzt. Es hat vier Handlungsfelder definiert: Zum ersten sind die Aspekte Rechte, Ressourcen und Repräsentation fest in der Planung und Umsetzung von Programmen der deutschen Entwicklungspolitik zu verankern.

Dann sollen gendertransformative und intersektionale Aspekte in alle Projekte integriert werden.  Gendertransformativ heißt, dass Diskriminierungen nicht symptomatisch, sondern ursächlich bekämpft werden. Und unter Intersektionalität versteht man, dass verschiedene Diskriminierungsfaktoren – zum Beispiel Geschlecht, Alter, Religion etc. – und ihre komplexen Wechselwirkungen ganzheitlich betrachtet und angegangen werden.

Drittens sollen internationale feministische Allianzen auf- und ausgebaut werden.

Und im vierten Handlungsfeld wird der Blick auch nach innen auf die eigene Institution und ihre Strukturen gerichtet.

Welche Rolle spiel(t)en denn feministische Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft bei der Erarbeitung und Umsetzung der Strategie?

Die Grundideen einer feministischen Politik stammen ja ursprünglich aus der Zivilgesellschaft, ich erwähnte schon den Internationalen Frauenfriedenskongress von 2015. Auch bei der Entwicklung einer Feministischen Außen- und Entwicklungspolitik haben verschiedenste Kräfte und Impulse aus der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle gespielt. Anders ist das auch nicht denkbar. Der Ansatz zeichnet sich ja dadurch aus, dass man mit allen den Austausch sucht, die von solch einer Politik betroffen sind.

So hat es sowohl im AA als im BMZ 2022/2023 einen ausführlichen Konsultationsprozess gegeben, um Stimmen und Positionen aus der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft einzubeziehen – und dies auf nationaler wie internationaler Ebene. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen, politische Stiftungen, aber auch feministische Think Tanks und die Wissenschaft haben ihre Facetten und Perspektiven eingebracht. Damit ist deren Rolle aber nicht abgeschlossen: Zivilgesellschaft und die Wissenschaft beobachten und bewerten nun die Umsetzung: Was passiert eigentlich konkret? Wie wird das realisiert? Welche Aspekte fehlen möglicherweise noch in den Leitlinien und Strategien. Und dabei sind NGOs und Wissenschaft sehr wichtig, weil sie kritisch schauen und Anstöße liefern, das Ganze auch weiterzuentwickeln.

In Deutschland sind BMZ und AA in dieser Hinsicht Vorreiter, es gibt keine feministische Regierungspolitik. Welche Herausforderungen ergeben sich daraus?

Das bringt schon einige Probleme mit sich: Wenn man auf Themenfelder wie Gesundheit, Ernährungssicherheit, Umwelt- und Klima betrachtet, dann betreffen diese Bereiche ja nicht nur das BMZ oder das AA, dann sind da auch andere Ressorts verantwortlich für die politische Bearbeitung.

Aber Kanzleramt, Wirtschafts-, Finanz- oder Verteidigungsministerium nehmen einfach oft andere Perspektiven ein und setzen andere Prioritäten als feministische Politikansätze. Das hat dann natürlich Einfluss beispielsweise auf die Budgetverteilung und auf die Entwicklung der politischen Programme.

Erwiesenermaßen spielt strukturelle Ungleichheit eine wichtige Rolle als Unsicherheitsfaktor und müsste bei der Entwicklung von Lösungsansätzen stärker in den Blick genommen werden. Wenn die feministische Sichtweise kein regierungsübergreifendes Modell ist, dann droht die Gefahr, dass das Ganze zu einem „Add-Women-and-Stir-Aproach“ wird, das heißt: Hier und da wird „kosmetisch“ ein Absatz hinzugefügt, dass auch Ungleichheit bekämpft werden soll. Es wird aber keine grundsätzliche feministische politische Strategie verfolgt.

weiter zu Seite 2