Mit Sinn und Wirkung führen
Wie Entwicklungsdienst moderne Führung fördert

von Michael Konow
2011 endete meine Zeit als Fachkraft im Entwicklungsdienst im Niger. Zurück in Deutschland fand ich nach einer kurzen Orientierungsphase den Einstieg bei der Handelskammer Hamburg. Relativ schnell ging es vom Referenten, über den persönlichen Referenten des Hauptgeschäftsführers bis zum Abteilungsleiter und Fachlichen Steuerer einer Kammerpartnerschaft in Ghana voran.
Im Jahr 2017 kam die Handelskammer in eine Krise. Dutzende Mitarbeiter gingen oder mussten gehen, darunter auch mein Mentor und Förderer. In dieser Phase setzte ich mich intensiv mit mir, meinem Berufsleben und Modellen der Führung und Zusammenarbeit auseinander. Schnell wurde mir klar, dass ich weder in starren hierarchischen Strukturen noch in einem toxischen Umfeld politischer Ränkespiele arbeiten wollte.
Was mich wirklich umtrieb, war der Wunsch nach Gestaltung, nach Sinn und nachhaltiger Wirkung. Dies würde ich entweder in der Entwicklungszusammenarbeit oder auf einer Führungsposition finden. Ich entschied mich für Letzteres und so fing ich 2020 als Hauptgeschäftsführer der IHK Fulda an.
Grundsätzlich bietet die IHK-Organisation, die in ihrem gesetzlichen Auftrag die Gesamtverantwortung der gewerblichen Wirtschaft innehat, beste Voraussetzungen für ein sinnorientiertes Arbeiten. Doch oftmals sind die Strukturen traditionell. In Fulda fand ich eine regional gut etablierte Organisation vor, der die Einschränkungen der Corona-Pandemie ihre Grenzen aufzeigte: Im digitalen Bereich war die Kammer nicht ausreichend aufgestellt, es fehlten die technischen Möglichkeiten von heute auf morgen Remote zu arbeiten. Und auch fiel es Teilen der Belegschaft nicht leicht, sich nach über zwei Jahrzehnten auf einen Führungswechsel einzustellen. Diese Umstände wollte ich ändern: Die Kammer agiler, noch mitgliederorientierter und innovativer zu machen, war fortan meine Mission.
New Work – Mitarbeitende zu Mitgestaltenden machen

In der Führung wählte ich einen Weg, den ich mir in meinen bisherigen Jobs gewünscht hätte. Dieser wurde stark beeinflusst vom Philosophen Frithjof Bergmann, dem Begründer der New-Work-Bewegung. Dabei geht es um menschenzentrierte Führung, die vor allem auf den individuellen Sinn der Arbeit abzielt und den Menschen hilft, ebendiese Arbeit, die sie wirklich erfüllt, zu finden. Für die konkrete Arbeit bedeutete dies viele wertschätzende Einzelgespräche, eine nahbarere Führung, partizipative Formate, absolute Transparenz und das Hochhalten von Werten wie Nachhaltigkeit und Vielfalt.
Es geht darum, ein Umfeld psychologischer Sicherheit zu schaffen, in der die Mitarbeitenden sie selbst sein können. In einem solchen Umfeld bringen Mitarbeitende schnell ungewöhnliche Ideen ein: Es wurde ein digitales Corona-Selbsthilfeforum für Unternehmer*innen geschaffen und ein Prädikat für nachtfreundliche Beleuchtung in Unternehmen entwickelt. Letzteres zeichnet Unternehmen aus, die durch den bewussten Einsatz von Außenbeleuchtung den Schutz der Nacht berücksichtigen. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Biodiversität, Energieeinsparung und zu einem ästhetischen Ortsbild und einer ästhetischen Nachtlandschaft. Für unseren Ansatz, Mitarbeitende zu Mitgestaltenden zu machen, wurden wir 2022 mit dem New Work Award in der Kategorie „Pioneers in Public Institutions“ ausgezeichnet.
Aus der EZ zum Wegbereiter für moderne Führung
Persönlich glaube ich, dass der Weg von der Entwicklungszusammenarbeit hin zum Wegbereiter für moderne Führung in öffentlichen Institutionen kein Zufall ist. Schon im Entwicklungshelfer-Gesetz steht, dass Fachkräfte im Entwicklungsdienst gemeinsam mit Mitarbeitenden in Partnerorganisationen am Fortschritt dieser Länder arbeiten. Partizipation, langfristige Begleitung von Veränderungsprozessen, Kommunikation auf Augenhöhe mit Menschen unterschiedlichster Kulturen und sozialer Milieus und Eigenverantwortung der Partner gehören zur DNA der Entwicklungszusammenarbeit.
Nicht nur in der monatelangen Vorbereitung auf den Entwicklungsdienst, sondern vor allem in der Zusammenarbeit mit dem Handwerksdachverband Fédération Régionale des Artisans de Niamey im Niger und später der Sekondi Takoradi Chamber of Commerce and Industry in Ghana habe ich diese Prinzipien gelebt und mit in meine jetzige Arbeit als Führungskraft genommen.
So erweist sich beispielsweise die Kollegiale Beratung als äußerst wirksame Methode, um gemeinsam Lösungen auf Augenhöhe zu entwickeln. Und wenn beim partizipativen Konzipieren und Vorbereiten einer Handwerksmesse die lokalen Partner Hinweise geben, was im Niger funktioniert und was eben nicht, sollte man unbedingt darauf hören und nicht stur die eigenen Vorstellungen durchdrücken. Genauso wie man als Führungskraft in der IHK seinen Mitarbeitenden vertrauen und auf ihre fachliche Expertise setzten sollte.
Moderne Führung beschränkt sich oftmals darauf, Menschen durch Eigenschaften wie aktives Zuhören, Empathie und den Einsatz für das Wachstum anderer dazu zu bringen, das Beste aus sich herauszuholen. Der Entwicklungsdienst ist nicht nur ein sinnvolles Instrument der Völkerverständigung und der Hilfe zur Selbsthilfe. Er verändert auch die Menschen nachhaltig, die für eine gewisse Zeit ihre privilegierte Umgebung verlassen. Wer mit Demut, Sinn und Wirkung führen möchte, sollte einen Einsatz in der Entwicklungszusammenarbeit in Erwägung ziehen!
Über den Autor
Michael Konow war von 2009 bis 2011 mit dem DED (heute GIZ) als Fachkraft im Entwicklungsdienst im Niger. Danach war er als Kurzzeitexperte, ebenfalls in Ghana . Seit langem beschäftigt er sich mit modernen menschenzentrierten Führungsansätzen. Als Hauptgeschäftsführer der IHK führte er 2020 insbesondere den New Work-Ansatz (mit Fokus auf Sinnorientierung) in der IHK in Fulda ein.
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Arbeiten als Führungskraft
Rückkehrende berichten, wie sie Kompetenzen aus dem Entwicklungsdienst in ihre Führungsposition einbringen.