Konflikttransformation und Friedenssicherung in Kolumbien

„Ich habe wahrscheinlich mehr aus Kolumbien mitgebracht, als ich dorthin mitnehmen konnte." ­

Lisa Picott ( MA Friedens- und Konfliktforschung, BA Latein­amerikastudien) war von 2014 bis 2017 für AGIAMONDO in Kolumbien im Zivilen Friedensdienst im Einsatz und in den Bereichen Planung, Monitoring und Evaluierung sowie in der Koordination von Projekten tätig. Im Anschluss hat sie von 2017 bis 2019 ebenfalls in Kolumbien im GIZ-Programm ProPaz gearbeitet, in dessen Zentrum die Konflikttransformation und die Friedenssicherung stehen. Dort hat sie lokale Gemeinden bei der Umsetzung des Friedensabkommens unterstützt.

Lisa Picott lebt heute in Köln und arbeitet beim forumZFD.

Frau Picott, woher stammt Ihr Interesse für Lateinamerika und einen Zivilen Friedensdienst dort?

Ich arbeitete bereits früh mit Jugendgruppen und in der Kirchengemeinde. Dabei haben mich soziale Aspekte besonders interessiert, weshalb ich mich damals auch entschieden habe, einen sozialen Dienst in einem Krankenhaus in Ecuador zu leisten. Durch weitere Aufenthalte im Ausland ist mir dann klar geworden, welche Privilegien viele Menschen haben. Man sieht dann beispielsweise auch Aspekte wie die Kolonialgeschichte und ihre Folgen vor Ort bis heute. Es ist mir wichtig, mich dafür einzusetzen, andere für solche Themen zu sensibilisieren.

Einen Bezug speziell zu Lateinamerika hatte ich schon vor dem Einsatz in Kolumbien. Zum einen durch meinen sozialen Dienst in Ecuador, zum anderen habe ich Lateinamerikastudien studiert und mein Auslandssemester in Kolumbien verbracht. Dort erlebte ich unmittelbar, wie stark Konflikte und ihre Folgen eine Gesellschaft spalten können. Dies hat mich sehr bewegt und ich habe mich gefragt, wie solche Spaltungen überwunden werden können. Daher habe ich mich entschieden, in Spanien Friedens- und Konfliktforschung zu studieren, und diesen Weg weiterverfolgt als Friedensfachkraft für AGIAMONDO und im Anschluss für die GIZ.

Lisa Picott (re. stehend) mit Gemeindeführer*innen in Kolumbien bei einer Veranstaltung zum Friedensabkommen, das den Bürgerkrieg beendete.

Wie waren denn die Reaktionen, als Sie sich für den Dienst in Kolumbien entschieden?

Meine Familie hat mich sehr unterstützt, durch ihre Fragen und ihr Interesse an meiner Arbeit und der Situation in Kolumbien.

Aber man begegnet auch vielen Vorurteilen. Auch im Bekanntenkreis – nach dem Motto: Was, um Gottes Willen? Du gehst nach Kolumbien? Da haben viele nur eine Vorstellung von Bürgerkrieg und Drogenkartellen. Dass es aber auch ein liebens- und lebenswertes Land ist, das ein Teil unseres Globus ist, welches Deutschland sogar mit vielen Rohstoffen versorgt, wird dabei häufig übersehen.

Man bekommt ja dann im Einsatz eine völlig andere Perspektive auf viele Dinge. Dann stellt sich beispielsweise auch die Frage „Was bedeutet überhaupt Entwicklung?“ Wenn ich auf Kolumbien schaue, da gab es oft mitten im vermeintlichen Nirgendwo besseres Internet als in manchen Teilen Deutschlands. Wie definiert man Entwicklung? Wo ist mehr Entwicklung? Blickt man nur auf Technik und Wirtschaft? Oder schaut man auch auf die Kreativität der Menschen? Oder auf die Energie, die sie mitbringen?

Wie haben sie – privat und beruflich – die Rückkehr erlebt?

Privat gab es schon einen kleinen Kulturschock: zum Beispiel dieser unfassbaren Vielfalt an Dingen und Angeboten der hiesigen Konsumwelt gegenüberzustehen. Das ging schon bei der Wohnungssuche und -ausstattung los. Ich habe in Kolumbien auf dem Land sehr schlicht gelebt und dann in Deutschland – ein ganz profanes Beispiel – kauft man dann nicht einfach eine Matratze, sondern muss zwischen 20 verschiedenen Typen und Ausführungen entscheiden. Das war mir fremd geworden. Gleichzeitig kann ich nun mehr Zeit mit meinen Neffen, der Familie verbringen und in neue Bereiche hineinschauen, wo ich teilweise auch meine Erfahrungen und Gedanken aus Kolumbien mit einfließen lassen kann.

Beruflich hatte ich viel Glück bei der Rückkehr, da sich für mich quasi ein Arbeitsvertrag an den nächsten anschloss. Ich habe regelmäßig während des Dienstes verschiedene Newsletter bezogen und mich über den Stellenmarkt in Deutschland informiert. Da bin ich auf eine Ausschreibung des forumZFD gestoßen und fand, das passt alles gut – die Stelle, der Ort, ... Ich habe mich beworben und das hat dann auch geklappt. Ich bin heute verantwortlich für Planung, Monitoring und Evaluierung (PM&E). Das war ja auch einer meiner Themenschwerpunkte in meiner Arbeit mit AGIAMONDO in Kolumbien.

Ich weiß aber auch von Kolleg*innen, dass die Arbeitssuche durchaus länger dauern kann und dass es für manche trotz vielfältiger Berufserfahrung schwierig ist, im Anschluss an ihre Tätigkeit im Ausland eine Stelle in Deutschland zu finden.

Sie haben einige Jahre in Kolumbien gelebt und gearbeitet. Kennen Sie so etwas wie Heimweh nach Ihrem Einsatzland? Und wie blicken Sie heute auf Ihren Dienst zurück?

Ja, ich habe manchmal Heimweh nach Kolumbien, es ist ein wunderschönes Land, bisweilen fühle ich mich schon ein bisschen hin und hergerissen – nicht mehr ganz deutsch, aber natürlich auch nie kolumbianisch. Vor allem über Social Media halte ich Kontakt zu meinem alten Projekt und ich versuche, wenn möglich Kolumbien zu besuchen. Außerdem bin ich inzwischen hier in Deutschland Mitglied von Aktion Pro Colombia eV, einem Unterstützungsverein, und engagiere mich dort ehrenamtlich.

Wenn ich auf den Dienst zurückschaue, dann fällt meine Bilanz sehr positiv aus. Ich habe heute ein riesiges Netzwerk an sehr diversen Personen sowohl in Kolumbien als auch über die ganze Welt verstreut, was eine wirkliche Bereicherung ist. Und ich hatte das große Glück, sehr viele wertvolle Erfahrungen machen zu dürfen. Ich habe viel gelernt und wahrscheinlich mehr aus Kolumbien mitgebracht, als ich dorthin mitnehmen konnte. ­

Das Interview entstand im Rahmen der AGdD Verbleibstudie 2022 für die Publikation "Die Welt im Gepäck. Zurückgekehrte Fachkräfte aus dem Entwicklungsdienst der Jahre 2011-2022". Das Gespräch führte Dieter Kroppenberg. 

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