Interview: ZFD-Fachkraft in Nepal

„Für mich war es insgesamt eine sehr reiche und wertvolle Zeit."

Chris Hartmann

Chris Hartmann war viereinhalb Jahre mit EIRENE in Nepal. Er koordinierte dort Projekte des Zivilen Friedensdienstes für die Organisation „Kurve Wustrow“. Es ging um die Aufarbeitung von Bürgerkriegsfolgen, um Friedensarbeit und Konfliktanalyse. Im Fokus standen unter anderem Projekte für Frauen, die Opfer von Gewalt, vor allem sexualisierter Gewalt waren. In der Arbeit für und mit jungen Menschen wurden verschiedene präventive Konzepte umgesetzt, um Jugendliche davor zu schützen, von kriminellen Gruppen oder durch politische Parteien instrumentalisiert und in Konflikte hereingezogen zu werden.

Chris Hartmann lebt heute in Osnabrück und arbeitet dort bei terre des hommes.

Herr Hartmann, Sie haben über vier Jahre als ZFD-Fachkraft in Nepal gearbeitet. Woher rührt Ihr Interesse für das Thema Entwicklungszusammenarbeit?

Das Interesse entstand schon in der Schule: Ich bin Geograf und hatte auch einen Geografie-Leistungskurs. Da ging es irgendwann auch um das Themenfeld „Entwicklungsländer“. Mich hat damals schon sehr bewegt, dass es in der Welt so ungerecht zugeht. Und so habe ich bereits als Schüler angefangen, mich ehrenamtlich zu engagieren. Später habe ich auch an einem Freiwilligen-Workcamp in Zimbabwe teilgenommen und dann während meines Geographiestudiums „Entwicklungsländer“ als Forschungsschwerpunkt gewählt.

Projektbesuch Women for Human Rights in Südnepal (Nepalgunj und Umgebung).

Gab es – über den Wunsch, sich für mehr Gerechtigkeit einzusetzen hinaus – weitere Motive für Ihr Engagement in Nepal?

Ich hatte vorher schon eine Ausbildung im Bereich „Ziviler Konfliktbearbeitung“ gemacht. Ich bewarb mich dann als ZFD-Fachkraft, weil ich nun sozusagen auch in die Anwendung gehen wollte, um Einblick in die Friedensarbeit vor Ort zu bekommen.

Somit haben berufliche Überlegungen als Motivation auch eine Rolle gespielt, aber sicher nicht im Sinne von „auf der Karriereleiter hochsteigen“, sondern eher im Sinne von „berufliche Erfahrungen machen und neue Eindrücke sammeln“, die ich für meine Arbeit nutzen kann. Interessant fand ich es auch, einmal andere berufliche Rollen einzunehmen als bislang in Deutschland. Ich hatte vorher noch nie eine koordinierende Funktion inne und das war für mich auch ein Anreiz.

Haben Sie den Eindruck, dass die Erfahrungen und Kompetenzen, die Sie aus dem ZFD mitgebracht haben, auf dem deutschen Arbeitsmarkt gefragt sind?

Ich habe während des ZFD viele Kompetenzen vertiefen können – allerdings nicht formal, ich habe also dafür nun kein Zertifikat in den Händen. Einige dieser Erfahrungen werden auch hier in der Arbeitswelt immer bedeutsamer und entsprechend anerkannt wie etwa interkulturelle Erfahrungen und Mediations- oder Konfliktlösungskompetenzen. Ich kenne Beispiele aus der Flüchtlingsarbeit oder der Kommunalen Konfliktarbeit, wo derartige Erfahrungen sehr gesucht sind.

Sehr hilfreich fand ich übrigens in diesem Zusammenhang die Kurse und Angebote der AGdD, wie zum Beispiel den Profilpass. Dabei konnte ich meine Kompetenzen noch einmal gründlich reflektieren. Das hat mir bei der Orientierung nach der Rückkehr wirklich sehr geholfen.

Gruppenbild im Rahmen eines Projektbesuches in Nepalgunj.

Wie ist denn Ihre berufliche Rückkehr nach Deutschland verlaufen?

Ich bin aus Nepal nach Deutschland wieder in meinen vorherigen Wohnort Osnabrück zurückgekehrt – unter anderem aus beruflichen Gründen. Dort hatte ich bereits vorher für „terre des hommes“ gearbeitet. Und nun konnte ich nach meinem Nepal-Aufenthalt wieder einsteigen, und die Erfahrungen aus Nepal waren dabei sehr hilfreich. Beruflich war das somit ein sanfter Übergang, ich hatte bei der Rückkehr schon den neuen Arbeitsvertrag in der Tasche. Als echte Herausforderung habe ich allerdings die Wohnungssuche erlebt, die Mietpreise hatten sich während meiner Abwesenheit wirklich frustrierend entwickelt.

Sie arbeiten somit beruflich weiterhin in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Engagieren Sie sich denn auch über die Arbeit hinaus weiter für diesen Bereich?

Ja, ich bin heute ehrenamtlich im Vorstand der Organisation Kurve Wustrow, für deren Projekte ich ja auch in Nepal gearbeitet habe. Das umfasst zum einen die üblichen Vorstandstreffen und dann begleite ich auch Entscheidungsprozesse, sofern die Geschäftsführung Bedarf anmeldet. Das ist ein realistischer Zeitaufwand, den ich gut leisten kann, und dieses „Engagement ist mir neben meinem Beruf, der auch sehr fordernd ist, wirklich wichtig.

Welche Bilanz ziehen Sie denn nach viereinhalb Jahren ZFD? Spüren Sie manchmal eine Art Heimweh nach Nepal?

Ja, ich vermisse Nepal und die Menschen, mit denen ich dort zusammengearbeitet habe. Aber „terre des hommes“ hat ja auch Projekte in Nepal und so kann ich durch meine aktuelle Arbeit weiter etwas Kontakt halten. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, noch einmal als Fachkraft auszureisen, allerdings eher für kurzfristigere Einsätze, bei denen man punktueller und fokussierter arbeiten kann.

Für mich war es insgesamt eine sehr reiche und wertvolle Zeit. Ich habe viele kompetente Menschen kennengelernt und konnte meinen Blickwinkel sehr erweitern. Somit habe ich die Zeit in Nepal als einen wechselseitigen Lernprozess erlebt. Das gefällt mir besonders gut am Konzept der Fachkraft im Entwicklungs- oder Zivilen Friedensdienst, wenn es manchmal auch etwas zu paternalistisch umgesetzt wird. Ich würde mir da noch mehr Süd-Süd-Austausch und Süd-Nordaustausch wünschen.

Das Interview entstand im Rahmen der AGdD Verbleibstudie 2022 für die Publikation "Die Welt im Gepäck. Zurückgekehrte Fachkräfte aus dem Entwicklungsdienst der Jahre 2011-2022". Das Gespräch führte Dieter Kroppenberg. 

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