Wissen vermitteln als Tutor für die Landesanalyse

Rainer Tigges

Einige Jahre nach der Rückkehr aus dem Tschad – meine Frau und ich haben dort als Entwicklungsfachkräfte eine Selbsthilfe-Initiative beraten – haben wir für zwölf Monate eine tschadische Kollegin nach Deutschland eingeladen. In dieser Zeit fragte die Akademie für Internationale Zusammenarbeit (AIZ) in Bad Honnef, ob ich kurzfristig als Tutor für die „Landesanalyse Tschad“ einspringen könne. Die Landes­analysen sind ein Kurs-Angebot der AIZ für Menschen, die sich vor einer Ausreise aktuell, kompakt und umfassend über ihr Zielland informieren wollen. Im Zentrum stehen dabei politische, wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Aspekte der Länder.

Unsere tschadische Freundin, von der wir während der Zeit in ihrem Land so viel gelernt hatten, spornte mich damals an, für ihr Heimatland eine gute Landesanalyse zu machen. Eine Woche später saß ich mit einem Stapel Bücher, Kalebassen, traditionellem Brautschmuck und meinem großen Bubu, einer westafrikanischen Männerbekleidung, mit meiner ersten Teilnehmerin zusammen, um mit ihr den Tschad zu erkunden.

Voraussetzung für eine gute Landesanalyse ist, dass die Teilnehmer/innen ihre Entscheidung zur Ausreise reflektieren und offen für viele neue Erfahrungen sind. Ein Land besteht nicht nur aus Sitten und ­Gebräuchen, aber gerade die „kleinen“ kulturellen und kulinarischen Besonderheiten sind ein wichtiges Bindeglied zu den Menschen. Mein Vorsatz ist, einerseits für das Land zu begeistern, andererseits aber auch die Herausforderungen realistisch darzustellen.

Zu Beginn eines Kurses bat mich ein zukünftiger Botschafter nichts zu berichten, was er selbst in Büchern nach­schlagen könne. Er wolle vor allem meinen Blickwinkel erfahren. Mir ist es aber wichtig, nicht nur meine Perspektive darzustellen, sondern auch Menschen aus dem Tschad selbst sprechen und ihre Geschichten erzählen zu lassen. Durch den Einsatz unterschiedlicher Medien und Skype-Gesprächen mit Menschen vor Ort ist dies heutzutage auch von Bad Honnef aus machbar. Und wie unterschiedlich man ein Land sehen und erleben kann, habe ich im Austausch mit einem Projekt-Nachfolger im Tschad erfahren, der vorrangig Entbehrungen und Probleme wahrnahm, wo ich so viel Faszinierendes und Bereicherndes erlebt hatte. Ihm schmeckte das Hirsebier nicht und dabei blieb es auch.

Die Kurse zur Landesanalyse dauern üblicherweise drei Tage – bei dem umfassenden Programm eine Herausforderung für Teilnehmer/innen wie für den Tutor. Deshalb habe ich mir viele Gedanken über einen abwechslungsreichen Methodenmix gemacht, um meine Veranstaltungen möglichst authentisch und interessant zu gestalten. Moderne Kommunikationsmittel machen es inzwischen möglich, tagesaktuell zu arbeiten und meine Teilnehmer/innen müssen heute einen großen Teil ihres Landeswissens mit meiner Unterstützung selbst und aktiv erwerben. So üben wir beispielsweise, während eines Telefonats mit der Botschaft im Tschad Sicherheitshinweise einzuschätzen.

Gerade der Blick auf sogenannte ­fragile Staaten wie dem Tschad erfordert die Zusammenarbeit mit den Tutor/innen der Nachbarländer, um auch eine länderübergreifende Analyse und Einschätzung der Situation in der Region zu gewährleisten. Nicht zuletzt deshalb initiiert die AIZ Treffen der Tutoren und unterstützt so den Austausch zu aktuellen Themen und auch zu methodischen Fragestellungen.

Auch wenn die Landesanalysen in puncto Methodik, Analyse und Recherche herausfordernd sind, im Vordergrund stehen für mich immer die Menschen und das Schöne ist: Nach jedem Tutorium weiß ich selbst etwas mehr über den Tschad.

Rainer Tigges war von 1995 bis 1997 im Tschad (erschienen in transfer Ausgabe 1/2017)