Der letzte Jaguar

Warum ich keinen Roman schreiben wollte – und der Dschungel andere Pläne hatte

Von Kristina von Stosch

Eigentlich sehe ich mich nicht als Autorin. Ist man schon Autorin, wenn man nur einen einzigen Roman schreibt? Zumindest würde ich viele andere Aspekte eher als Teil meiner Identität begreifen, darunter zum Beispiel meine Liebe zur Natur und zu ursprünglichen Kulturen, die mich vor fast 20 Jahren nach Bolivien geführt hat. Kurz danach habe ich die Identität als Mutter zweier Kinder angenommen, welche ihr Leben inzwischen als „Bolimanes“ (Deutsch-Bolivianer) relativ eigenständig führen. Weiterhin identifiziere ich mich intensiv mit Mate-Tee, mit dem ich jeden Arbeitstag starte, aber immer weniger mit der Schwäbin, falls ich überhaupt einmal eine gewesen sein sollte. Ich hatte nie vor, einen Roman zu schreiben, aber jetzt liegt er hier, neben mir: „der letzte Jaguar“ und seine spanische Version „el último jaguar“. 

Kristina von Stosch beim internationalen Treffen indigener Beobachter

Als ich 2006 nach Bolivien gezogen bin, hat es mich als Geographin besonders interessiert, wie verschiedene Vorstellungen von „Entwicklung“ Landkonflikte verursachen. Im Rahmen meiner Promotion habe ich das Zusammentreffen der Hochland- und Tieflandindigenen in Alto Beni, Bolivien, untersucht. Was beeinflusst uns in der Entscheidung, wie wir mit Land und Ressourcen umgehen? Bis heute berührt mich dieses Thema, obwohl ich mich damit schon über 15 Jahre beschäftige. Meine Arbeit als Fachkraft im Zivilen Friedensdienst der GIZ führte mir vor Augen, dass die Dinge immer anders sind, als wir sie annehmen und dass wir generell vorab zu vieles annehmen. Als Fachkraft im Entwicklungsdienst an Universitäten in Bolivien und Timor Leste habe ich außerdem gesehen, dass Studierende viel aufnehmen und Dozenten viel übernehmen. Am Ende habe ich von überall etwas mitgenommen: Erfahrungen, Perspektiven und eine gute Portion Gelassenheit. 

Ich versuche, optimistisch zu bleiben, aber ich muss zugeben, dass ich oft gerne weniger informiert wäre. Meine derzeitige Stelle mit DÜ/Brot für die Welt in Bolivien enthüllt weitere inconvenient truths durch tiefe Einblicke in den Dschungel der Wahrheiten. Es fällt mir schwer, sie auszuhalten. Auch wenn ich mich regelmäßig durch Trail Running und Triathlon auspowere, lässt sich der Frust selbst nach 50 Kilometern nicht ganz weglaufen. 

Und so kam das Buch zu mir. Durch Frust. Es war im September 2019, eine röhrende Klimaanlage, lautes Gewusel der Studierenden auf den Fluren der Universität NUR in Santa Cruz, Bolivien. Die Wetteranzeige meines Handys zeigte die Warnung „Rauch – extrem gesundheitsschädlich“. Der Hals kratze, die Augen tränten und meine ZFD-Kolleg*innen und ich blickten apathisch auf den Boden. Wir hatten Dialogprozesse gefördert, Fortbildungen zu Konflikttransformation durchgeführt, Konflikt-Monitoringsysteme eingeführt und ein Multiakteurs-Schutzzonenmanagement unterstützt. Wir hatten zahlreiche Forschungsarbeiten veröffentlicht, indigene Territorien unterstützt und einen Postgradiertenkurs zu Ressourcenkonflikten eingeführt. Unsere indigenen Freunde der Monkoxi riefen an. Sie waren verzweifelt, denn ihre Wälder und Felder brannten und das Feuer näherte sich ihren Palmhütten (eine Situation, die sich 2024 wiederholte und 12 Millionen Hektar Wald in Asche verwandelte und unseren Himmel für drei Monate verdunkelte). Damals umarmten wir uns hilflos und Tränen überströmt. Am selben Abend schrieb ich die ersten Zeilen meines Buches, meine Traumatherapie.

Aus meiner Katharsis wuchs eine Geschichte: Ich ließ meinen Protagonisten Ayo auf der Suche nach seiner Identität ins bolivianische Amazonasbecken reisen und all die inneren und äußeren Konflikte erleben, die auch ich erlebte. Die Legende eines indigenen Volkes verwickelt ihn, wie auch mich damals, in ein undurchdringliches Geflecht aus Umweltzerstörung und Korruption. Er möchte ihn einmal sehen, Abu, den Jaguar, bevor die großen Waldbrände ihn für immer auslöschen, so wie ich weiterhin von einer schönen Welt träume. Leser*innen reisen mit Ayo und lernen in der Fiktion des Romans die Realität kennen. Vielleicht erkennen sie sich in seiner Suche wieder, vielleicht entdecken sie eine neue Welt oder sie genießen einfach das Abenteuer. Manchmal, zwischen einer Tasse Mate und einem Stapel Alltag, beginnt daraus eine Geschichte, die ein bisschen Hoffnung schenkt. Ich wünsche viel Freude beim Lesen – und vielleicht ein leises Schmunzeln über all die unerwarteten Wege, auf denen uns das Leben zu dem führt, was wir nie geplant hatten. 


Über die Autorin

Kristina von Stosch beim Trailrunning

Die Wirtschaftsgeographin Kristina von Stosch war von 2011 bis 2022 (mit Unterbrechung) Fachkraft im Zivilen Friedensdienst mit der GIZ in Bolivien und Timor Leste. Seit 2023 ist sie für DÜ/Brot für die Welt als Fachkraft für Dialog und Ressourcenkonflikte in Bolivien.

Aus ihren Erfahrungen während des ZFD in Bolivien hat sie einen Roman verfasst, der sich mit den Ressourcenkonflikten und Waldbränden im Amazonasbecken auseinandersetzt und gleichzeitig die Mystik der Legenden der Indigenen behandelt.  

Der letzte Jaguar

El último jaguar